Das dunkle Geheimnis von Emily Rose

Kommentar zum Film Der Exorzismus von Emily Rose

Aktualisiert am 30.6.2022


Ist ein katholischer Priester durch Fahrlässigkeit schuldig am Tod einer jungen Frau geworden, an der er zuvor vergeblich den Exorzismus durchführte? Diese Frage müssen die Richterin, die Geschworenen und letztlich das Kinopublikum für sich beantworten, das den Film Der Exorzismus von Emily Rose (Original: The Exorcism of Emily Rose) gesehen hat.
Die wahre Geschichte, die den Film inspirierte, endete in Deutschland 1976 mit dem Tod der Studentin Anneliese Michel und 1978 mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten auf Bewährung für die beiden beteiligten Priester. Der Bischof, der den Exorzismus genehmigt hatte und die katholische Kirche als Institution kamen sowohl in Deutschland als auch in der Filmhandlung, die in den USA spielt, ungeschoren davon. Die Sympathien der Filmemacher gehören dabei dem angeklagten Pater Richard Moore (Tom Wilkinson), der immer etwas mehr zu wissen scheint als andere, und seiner engagierten Anwältin, der Agnostikerin Erin Brunner (Laura Linney). Und auch die Menschen im Umfeld des Opfers Emily Rose (Jennifer Carpenter) und der „Verteidigung“ sind als Sympathieträger gezeichnet. Die „Anklage“ der Staatsanwaltschaft wird demgegenüber von dem streitbaren Methodisten Ethan Thomas (Campbell Scott) repräsentiert, dessen Korrektheit gelegentlich mit kleineren Gehässigkeiten gespickt ist. Regisseur und Drehbuchautor Scott Derrickson lässt dabei vordergründig in der Schwebe, ob Emily Rose wirklich von Dämonen besessen war, wovon die Verteidigung ausgeht oder ob sie an einer psychotischen Epilepsie litt, was das schulmedizinische Lager der Anklage darlegt. Hintergründig ist die Sache aber klar: Die Dämonen, die sich in einer Filmszene auch mit Namen offenbaren (Belial, Nero und Luzifer selbst sind darunter) entspringen nicht dem Gehirn der jungen Frau, sondern kommen aus einer anderen Realität, in die man als Zuschauer ein Stück weit mit hinein genommen wird. Daraus bezieht der Film seine Spannung und auch Teile seiner Botschaft.

Doch nicht nur auf der Leinwand tobt ein Kampf zwischen Gut und Böse, sondern der Zuschauer steigt fast automatisch selbst ein in das „Spiel“, wie es der Pater einmal während der Verhandlung formulierte. Man wird dabei unter anderem zu der klassischen Glaubensfrage „Warum lässt Gott das zu?“ geführt und erhält auch eine gespenstische Antwort, die aus den dunklen Schleusen unterirdischer vatikanischer Bibliotheken stammen könnte. Das Geheimnis der Emily Rose wird am Ende des Films scheinbar gelüftet, und der Zuschauer darf dann mit einer schaurigen „Erklärung“ nach Hause gehen, die zu den katholischen Gottesvorstellungen passt …
In diesem Zusammenhang entschied die gut inszenierte Gerichtsverhandlung die Frage nach „Dämonen oder epileptischer Psychose“ zumindest nach Gefühlspunkten klar zugunsten der Existenz der jenseitigen Mächte. Doch als wieder ernüchterter Zuschauer kann man davon ausgehen, dass man höchstens um eine erste Ecke in Richtung jenseitige Welt hat blicken dürfen bzw. nur eine erste Türe zum „Übersinnlichen“ geöffnet sah. Dahinter sehen die Glaubenden, „was sie glauben wollen“, wie es der Staatsanwalt im Film einmal treffend formulierte. Und manchem können die Autoren der Filmgeschichte vielleicht sogar weismachen, dass die finsteren Mächte vor allem morgens um 3.00 Uhr aktiv sind und ihr Unwesen treiben - im angeblichen Kontrast zur Todesstunde von Jesus um 15.00 Uhr nachmittags. Immerhin lässt man den kritischen Staatsanwalt einigermaßen glaubhaft darlegen, dass die Blutungen aus den Handflächen von Emily Rose nicht die Wundmale Christi sind, sondern Verletzungen, die Emily Rose sich zuzog, als sie in den Stacheldraht einer Weide neben dem elterlichen Wohnhaus griff. Und auch vieles andere könnte ganz anders sein, wenn man noch um eine Ecke mehr blickt bzw. die Tür zur nächsten Kammer des „Übersinnlichen“ öffnet – entweder nüchtern erklärbar oder auf eine andere Weise „paranormal“ als es der Katholik gerne glauben möchte.

Insgesamt spricht der Film ein Publikum an, das nicht glauben will, dass ein irgendwann mit dem Tod endendes undramatisches Alltagsleben alles sein soll. Da gibt es zumindest noch die Sehnsucht, dass das eigene Leben einen übergreifenden größeren Sinn haben soll und gleichzeitig die Erfahrung, dass es manchmal nur am seidenen Faden hängt oder nicht so leicht in den Griff zu kriegen ist (vor allem, wenn einem nicht nur diesseitige Zeitgenossen das Leben schwer machen). Entsprechend bescheiden gibt sich die Anwältin in ihrem Schluss-Plädoyer, wenn sie nicht von „Fakten“ spricht, sondern von „Möglichkeiten“. Ein gutes Beispiel, das einen ermuntert, noch weitere Fragen zu stellen, wozu der Film einen geradezu herausfordert.

Ist es demnach möglich, dass es zwar „Besessene“ gibt, aber dass der Exorzismus der römisch-katholischen Kirche dafür keine geeignete Antwort ist, sondern das Leiden eher verschlimmert? Kann es sein, dass die „Dämonen“ in der jungen Frau sich gegen eine grausame Kirche wehren, von der sie einst in eine angeblich ewige Hölle geschickt wurden und wohin sie im Exorzismus „katholisch korrekt“ erneut verbannt werden sollen? „Man verbrannte früher Frauen“, heißt es an einer Stelle im Film, und war es nicht die Kirche, auf deren Geheiß dies Jahrhundert lang geschah? Und wenn die katholische Kirche durch Papst Benedikt XVI. den Exorzismus wiederbelebte – soll er langfristig wieder eine humane Psychotherapie ersetzen, die herauszufinden versucht, warum jemand zum „Besessenen“ wird? Nur weil er „hypersensitiv“ ist? Oder ist gerade ein ernst genommener katholischer Glaube mit irrationalen Dogmen und ewiger Verdammnisdrohung ein großer Risikofaktor für eine Besessenheit? Weil besonders empfindsame und intelligente Katholiken mit diesem Glauben irgendwann nicht mehr klar kommen? Und was soll das für Gott sein, der – wie in der Filmhandlung – angeblich in dunklem und düsterem Milieu den Teufel handeln lässt, um den Menschen auf diese Weise seine Existenz nahe zu bringen?
 
Der Exorzismus trieb in der Kirchengeschichte - als Instrument der Inquisition bzw. der „Hexenverfolgung“ des späten Mittelalters und vor allem der Neuzeit - vor allem dann seine schrecklichen Blüten, wenn man nicht annähernd bereit war, Abweichungen vom offiziellen lehramtlichen Glauben zu dulden. Der Andersdenkende sei eben mit dem „Bösen“ im Bunde und damit entweder ein Fall für den Exorzisten oder für den Henker. Das war für die Kirche ein viel bequemeres Deutungsmuster als sich mit den kritischen Fragen auseinanderzusetzen. Deshalb braucht sich niemand zu wundern, wenn seit Benedikt XVI., dem spirituellen und juristischen Nachfolger der alten Großinquisitoren, die Exorzismus-Praktiken wieder verstärkt wurden.

Angesichts der neuen Exorzismus-Kurse für Priester im Vatikan ist der Film Der Exorzismus der Emily Rose im wahrsten Sinne des Wortes brandaktuell. Schon etwas länger nährt sich dabei ein Verdacht, den der bekannte russische Dramatiker Fjodor M. Dostojewski (1821-1881) in der Erzählung Die Brüder Karamasov dem damaligen Großinquisitor der katholischen Kirche in den Mund legte. Gegenüber dem auf die Erde zurückgekehrten Jesus erklärt der Kirchenmann: „Wir sind schon seit langer Zeit nicht mehr mit dir im Bunde, sondern mit ihm ...“

Wer weiß, ob Hollywood nicht vielleicht in ein paar Jahren eine Fortsetzung schreibt. Vom tapferen und weisen Pater Richard Moore, der im Greisenalter die Kirche verlässt und eine neue Geschichte von Emily Rose erzählt …
 

Der Text kann wie folgt zitiert werden:
Zeitschrift "Der Theologe", Hrsg. Dieter Potzel, Das dunkle Geheimnis von Emily Rose, Kommentar zum Film "Der Exorzismus der Emily Rose", Wertheim 2005, zit. nach theologe.de/emilyrose.htm, Fassung vom 30.6.2022;
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