Pokemon – ein Griff nach der Seele unserer Kinder

Der Theologe Nr. 96, aktualisiert am 20.10.2022
 


Plötzlich waren sie wieder da im Jahr 2016 – Die Pokemon (wörtlich: "Pocket-Monster"), mit denen es eigentlich schon ab dem Jahr 2001 allmählich zu Ende ging, damals dann in der Variante "Pokémon Go" ab dem 14.7.2016 auch in Deutschland. Das Magazin Focus und die Boulevard-Zeitung Bild hatten zum Start sogar eigens einen "Liveticker" eingerichtet. Im Zusammenhang der Wiedererweckung der kleinen Comic-Monster für Smartphones bzw. Handys nach einer knappen Generation lesen Sie hier unsere damaligen Studien aus dem Jahr 2000.
Die Analysen von damals haben von ihren Kernaussagen her und der Aufdeckung von Hintergründen zum "Pokemon-Fieber" (wenn der Zeitvertreib zur Spielsucht wird) nichts von ihrer Aktualität verloren, auch wenn es dann bald wieder ruhig um sie wurde und es mittlerweile [2023] wieder kein gesellschaftliches Thema mehr ist. Doch die dahinter wirkenden Mechanismen sind auf andere Weise weiterhin tätig, vor allem das Abdrängen der Kinder in Richtung einer virtuellen Scheinwelt, was auch durch verschiedene Maßnahmen gegen die Pandemie 2020 massiv gefördert wird, z. B. kein Training mehr in Sportvereinen, keine Spiele und Wettkämpfe in der nichtdigitalen Welt. Bei Pokemon geht es darum, im virtuellen Kampf mithilfe von Comic-Monstern der "Beste" zu sein. Neu war 2016: Die Pokemon-Welt – früher eine reine virtuelle Welt im Gameboy – war nun per spezieller Smartphone-"App" und Satellit in die irdische Außenwelt eingewoben. Das bedeutete: Der Spieler begab sich mit seinem Smartphone an bestimmte äußere Orte, z. B. einen zentralen Platz in einer Stadt, wo er bestimmte Monster bzw. Aspekte des Spiels aktivieren konnte. Durch die jeweilige GPS-Standort-Ortung der Handys für öffentliche Plätze und Einrichtungen können dort auch andere Spieler hingeführt werden und z. B. nur dort bestimmte Kämpfe durchführen oder Spielvorgänge, die sie – auf das Spiel bezogen – "stärker" machen.
Auf diese Weise greifen die virtuelle und die materielle Welt bei Pokémon-Go ineinander, und selbst die Holocaust-Gedenkstätte im ehemaligen Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau in Polen ist bereits in das Fadenkreuz von Pokemon-Spielern geraten. Ca. 40 Jugendliche haben dort nach Zeugenaussagen um die Pokemon-Oberhoheit gekämpft. Die Spieler entscheiden nämlich selbst, an welchen äußeren Orten sie Herausforderer anlocken bzw. Kämpfe gewinnen wollen. Während sich die Spieler in der materiellen Welt bewegen, läuft parallel eine dazu maßgeschneiderte virtuelle Welt auf ihren Handys ab. Doch was steckt hinter all´ dem und seiner Weiterentwicklung.
 


In Japan und den USA waren sie schon lange Thema Nr. 1 bei den Kindern, in Deutschland gibt es sie erst seit 1999 die Pokemon, Abkürzung für "Pocketmonster". Es handelte sich um Zeichentrick-Figuren, die im Computerspiel, im Gameboy oder auf Sammelkarten in Aktion gebracht werden. Seit September 1999 gab es sie auch täglich im Fernsehen (RTL 2) und im Mai 2000 mit Erfolg auch im Kino. Was sich hinter dem erfolgreichsten Computerspiel aller Zeiten verbirgt, ist nicht ganz so harmlos, wie es vielleicht scheint.

Die Handlung der Erfolgsserie ist schnell erzählt: Der 10-jährige Ash konkurriert mit anderen Kindern um die Meisterschaft der Pokemon-Trainer. Pokemon sind tierähnliche Wesen, die von den Menschen aus Spielkugeln "herausgezaubert" werden und die jeweils im Duell gegeneinander kämpfen, bis einer k.o. gegangen ist. Wie Ash kann auch jedes Kind im Gameboy, am Computer oder mit seinen Spielkarten ein anderes Kind zum Pokemon-Kampf herausfordern. Jedes der derzeit 151 Pokemon hat andere Kampfeigenschaften. Und vielfältige Spielregeln und Spielvariationen (Energiekarten, Trainer-Karten, Evolutionskarten, durch die sich die Monster weiterentwickeln usw.) halten die Kinder ständig auf Trab.

"Ich will der Beste sein"

Das Pokemon-Spiel nützt den Wunsch der Kinder aus, beim Spielen gewinnen zu wollen und treibt ihn auf die Spitze: Die Botschaft lautet ganz einfach: "Ich will der Beste sein". Oder: "Ich will der beste Pokemon-Trainer sein" oder einfach: "Ich will besser sein als du." Ein großer Haken an der Sache. Das Spiel findet kein Ende. Und es soll auch keines nehmen.

Natürlich wollen die Kinder in den Besitz von allen Pokemon im Gameboy oder in der Kartenversion kommen, denn der Wunsch nach etwas "Vollständigem" steckt in uns allen. Doch das ist mit einer Pokemon-Grundausstattung nicht möglich.
Man muss tauschen, ausgewählte Spielwarenläden besuchen oder mehrmals ins Kino gehen (wo man am Eingang vielleicht eine seltene Karte bekommt), um schließlich an alle Figuren zu kommen. In den USA treffen sich bei manchen Pokemon-Festivals bis zu 50.000 Kinder mit ihren Eltern. Als die Firma Nintendo im Februar in Japan zwei neue Versionen des Computerspiels auf den Markt brachte, waren binnen 24 Stunden alle 1,8 Millionen Exemplare ausverkauft. Die Gesamtverkaufszahl stieg damit auf über 12 Millionen. Allein 1999 wurde in Japan mit Pokemon-Lizenzen 9 Milliarden DM verdient, der Gesamtgewinn liegt wohl längst weit darüber.

Das Gehirn "zugeballert", das Gefühl blockiert

Der neue Kult hat auch seine Helden: Millionen von Kindern, aber auch Eltern, wie die zwischenzeitlich zur "PokeMOM" gekürte Diane Bergquist aus Bellingham/Washington. Sie erzählt mit Begeisterung, wie Pokemon zu einem "großen Teil" ihres familiären Alltags wurde. Doch nicht alle Eltern reagieren positiv, im Gegenteil. Sowohl in Japan als auch in den USA haben sich Anti-Pokemon-Elterninitiativen gebildet. "Sie fühlen sich überrollt", so die Die Zeit (23.3.2000), von der Marketing-Strategie der Hersteller, "die mit den drei Geschützen Fernsehen-Gameboy-Kartenspiel ihren Kindern das Gehirn mit grotesken kleinen Ungeheuern zugeballert hat", was auf lange Sicht auch die Gefühlsebene und das Gewissen überlagern kann. Auch in Deutschland sind die ersten negativen Auswirkungen zu spüren. Hilflose Schulleiter haben Pokemon in ihren Schulen bereits verboten, weil sich viele Schüler wegen der Monsterspiele nicht mehr auf den Unterricht konzentrieren konnten. In einer fränkischen Grundschule werden am Eingang zum Klassenzimmer die Taschen der Schüler kontrolliert und aufgespürte Pokemon-Karten unter lautstarkem Protest der Schüler beschlagnahmt und einbehalten. Bild brachte die Schlagzeile: "Unsere Kinder leben in einer anderen Welt und wir verstehen sie nicht mehr" (12.4.2000). Aus Großbritannien und den USA werden erste blutige Kämpfe der Kinder gemeldet, z. T. mit Messerstechereien oder Raubüberfällen auf Kinder, die sich gerade im Kiosk Pokemon-Karten gekauft haben. Ein Grund dafür: Nicht jeder kann sich nämlich die teuren Karten (Eine Tüte mit 11 Bildern kostet 8 DM) leisten. Und nicht jeder hält sich auch an die Regeln. Es beginnt z. B. damit, dass ältere Kinder manchmal die Karten der Jüngeren wegnehmen, wenn die Jüngeren im Kampf gewonnen haben. Man kann sich fragen: Was sind unerwünschte Nebenwirkungen? Und was ist womöglich Teil einer Strategie?

 



Satoshi Tajiri

Er erfand die Pokemon

Der 32-jährige Japaner Satoshi Tajiri hat Karriere gemacht, obwohl es zunächst ganz anders aussah. Tajiri war als Jugendlicher videospielsüchtig. Mit Augenringen vom stundenlangen Videospiel kam er heim zu seiner verzweifelten Mutter. Es kam noch schlimmer. Tajiri war nicht mehr fähig, in die Schule zu gehen. Mit 16 Jahren gab er deshalb die Schule auf und widmete sein Leben nur noch dem Videospiel.

Tag und Nacht saß er vor dem Video und dem Computer. Er lernte programmieren, entwickelte neue Ideen für Computerspiele und gewann erstmals einen Wettbewerb. Sein erster Coup: Die Kombination von zwei Gameboys und ein Spiel, bei dem die beiden Gameboy-Besitzer gegeneinander kämpfen. Der Japaner brütete weitere Jahre vor seinen Geräten. Das Geld für seinen Lebensunterhalt bekam er von seinem Vater, der als Autoverkäufer arbeitete. Und Tajiri schuf die Pokemon. Der Konzern Nintendo griff sein Produkt auf und machte ihn zum erfolgreichsten und wohl reichsten Computerspiel-Schöpfer aller Zeiten.
 



Neue Medien – verbieten zwecklos

Keine Panik ...

Gehören Sie auch zu den Eltern, deren Kinder mehr mit dem Gameboy vertraut sind als mit dem Familienleben? Haben Sie Angst, dass die Kinder süchtig werden?

"Verbieten ist zwecklos", so ein Vater zu unserer Redaktion. "Dann macht man sie erst richtig scharf". Dürfen also Kinder ihre Erfahrungen machen und bin ich ihr erwachsener Freund, mit dem man vernünftig reden kann? Über Computerspiele, über Gott und die Welt? Es wirkt vor allem das Vorbild und die Zeit, die man sich für die Kinder nimmt. Was mache ich z. B. als Elternteil in meiner Freizeit? Ist sie sinnvoll ausgefüllt? Habe ich eine klare Linie für mein Leben? Und habe ich gelernt, Gott zu vertrauen und weiß, dass Er mich und die Kinder führen möchte? Und wenn die Kinder eigene Wege gehen – bin ich trotzdem bereit, als großer Bruder oder große Schwester für sie da zu sein, wenn sie mich brauchen? 


 


Pokemon – Verpolung der Naturwesen und der "positiven Helden" 

In der Natur sind viele für das menschliche Auge unsichtbare Helfer aktiv, die Naturwesen oder Elementarwesen, die für die Tiere und Pflanzen der Erde sorgen. (Näheres in dem Kinderbuch Liobani, Band 2, Ich berate – nimmst du an? Wer anstrebt, Teil der großen Einheit allen Lebens zu werden, dem dienen die Naturkräfte und auch die Tiere mehr und mehr. Diese Sehnsucht liegt letztlich in jedem Menschen. Vergleichbar diesem Idealbild gibt es in der Kinderliteratur oftmals "Helden", die ein Ideal des Guten, Edlen und Schönen verkörpern. Dies spricht die positiven Aspekte in der Seele der Kinder an und weckt in ihnen die Sehnsucht nach dem Vollkommenen, das in allen Seelen angelegt ist.

Die Pokemon und die "negativen" Helden

In der Welt der Pokemon sind die dienenden Eigenschaften der Naturwesen zu Kampfeigenschaften verpolt. Hier bedienen sich die Menschen der Wasser-, Luft- und Feuerpokemon, um mit ihrer Hilfe die Kämpfe zu gewinnen. Die Problematik wird selbst von den Erfindern aufgegriffen. Im Kinofilm begehrt das geklonte Pokemon Mewto auf, da die Pokemon "Sklaven" der Menschen seien. Doch die Menschen widersprechen: "Sie sind unsere Freunde." Die Kinder gewöhnen sich mehr oder weniger an die Monster und identifizieren sich auch mit dem Negativen. So schreibt Pokemon-Fan Melanie aus den Niederlanden im Internet: "Mein Lieblingspokemon ist Mewto. Er ist ein schlechter, gemeiner Pokemon, aber ich mag ihn." 

 




Erfolgreicher Pokemon-Film im Kino
Die ethische Aufrüstung der Comic-Monster

Ein Klon rebelliert
gegen seine Züchter

An alles werden die Kinder gewöhnt. Im erfolgreichen Pokemon-Film Mewto gegen Mew weigert sich das geklonte Monster Mewtwo, den Befehlen seiner menschlichen Konstrukteure zu folgen. Es entscheidet sich, selbst nach der Weltherrschaft greifen zu wollen. Was folgt, ist bemerkenswert.

Beim Kampf der Pokemon gegen ihre jeweiligen Klone kommt es zu einem Patt. Beide sind gleich stark und keiner kann den Anderen besiegen. Einer der Pokemon hört in dieser Situation plötzlich auf zu kämpfen und hält jeweils nach jedem Schlag die "andere Wange" hin – vielleicht eine Anlehnung an das Jesuswort der Bergpredigt, wo der Ratschlag gegeben wird, die "andere Wange" hinzuhalten. Schließlich kommt ein Menschenkind in dem Gemenge ums Leben. Alle Kämpfer sind bestürzt und weinen um den Jungen – man könnte an eine Art Opfertod denken. Die Tränen erwecken ihn aber wieder zum Leben, und der Ober-Klon Mewto gibt bei so viel Herzlichkeit auf. Das geht dann auch einem Filmkritiker unter die Haut, worauf die sinngemäße Schlussbotschaft vom Mewto folgt: "Es komme nicht darauf an, wie jemand auf die Welt gekommen ist, sondern darauf, was jemand aus seinem Leben mache."

Ganz offensichtlich erfolgte im Film also eine Art ethische Aufrüstung der Comic-Monster – allerdings im zweifelhaften Kontext des Klonens. Schon ob ein Klonwesen in der Realität so viel Intelligenz entwickeln könnte, ist fraglich. Und während die ethische Botschaft, dass es darauf ankomme, "was jemand aus seinem Leben mache", sicher unumstritten ist, sollte sie nicht davon ablenken, dass die Startbedingungen eben auch keine Zufälle oder angebliche "Geheimnisse Gottes" sind (vgl. dazu "Der Theologe Nr. 2" – Reinkarnation). Denn auch die Art, "wie jemand auf die Welt gekommen ist", enthält eine wichtige Botschaft, die einem helfen kann, dieses jetzige irdische Leben zu meistern. Und kann man überhaupt sein Leben richtig verstehen, wenn man nicht an das eherne Gesetz von Saat und Ernte glaubt?
Zudem könnte die letztendliche Einsicht des Filmhelden bedeuten: "Klone gehören einfach zu unserem Leben hinzu." So dass es für die Kinder später selbstverständlich sein würde, wenn man eines Tages vielleicht nicht nur Tiere, sondern auch Menschen klont. 
Dass das Kämpfen gegeneinander sinnlos ist, ist jedoch immer ein sehr guter Inhalt für einen Kinderfilm. Eine mehr oder weniger notwendige Hilfe dafür ist allerdings, dass der Nächste, bei dem mich vieles aufregt, mein Spiegel ist. Er spiegelt mir, was auch bei mir nicht in Ordnung ist, und ich bekämpfe und bereinige es bei mir anstatt es beim anderen zu bekriegen.

 



Hilflose Lehrer

Ein Lehrer in Deutschland, der bemerkt hat, dass die Kinder möglichst viele Pokemon-Karten in ihren Besitz bringen wollen, trat eines Tages vor die Klasse und fragte: "Soll ich euch zeigen, wie man aus einem Pokemon zwei macht?" Neugierig nickten die Schüler. Da nahm der frustrierte Pädagoge eine beschlagnahmte Karte und riss sie in der Mitte durch.
In Kalifornien zog ein 11-Jähriger mit seinen Eltern gegen die Lehrerin vor Gericht und verklagte sie auf 2.000 DM Schadenersatz. Sie hatte ihm die Pokemon-Karten weggenommen und sie dann verloren.
 



Pokemon-Fieber und manches mehr

Schon die Kinder
 süchtig machen

Die Wochenzeitung Die Zeit nannte das Pokemon-Fieber "Magie", andere nennen es "Kult" oder "Sucht". Pokemon ist dabei nur ein Baustein einer umfassenderen Strategie. Vor allem im Fernsehen ging in den letzten Jahren und Jahrzehnten der Trend immer mehr in Richtung "Endlos-Serien". Wer sich darauf einlässt, beschäftigt sich Tag für Tag mit der angebotenen Scheinwelt und das Aussteigen wird immer schwieriger. Auch fällt es manchem  immer schwerer, sich auf seine Tätigkeiten im Alltag zu konzentrieren, weil die Gehirnzellen voll gestopft sind mit den Bildern der Serienangebote.

Man kommt zu keinem Ende mehr

Angefangen hat es in Deutschland Anfang der 80er-Jahre mit der Lindenstraße – Woche für Woche über eine halbe Stunde. Es folgten Serien mit täglicher Fortsetzung – für Erwachsene, bald auch für Kinder. Pokemon lief z. B. täglich 45 Minuten.
Ein vergleichbarer Trend auch bei Computerspielen: Man kommt zu keinem Ende mehr. Genau das beklagen Eltern z. B. bei den Pokemon-Spielen. Während das Mensch-ärgere-Dich-nicht-Spiel früherer Generationen zu Ende war, wenn alle Spieler bis auf den letzten ihre Steine im Ziel hatten, hören viele der neuen Spiele einfach nicht mehr auf. So rät der Hamburger Universitätsprofessor Dr. Stefan Aufenanger den Eltern, mit ihren Kindern einfach Zwischenstopps zu setzen. Da eine pokemonfreie Zone kaum möglich sei, sollten die Kinder bis zu einem Zwischenziel spielen und dann aufhören. Nur – wann fangen sie wieder an?

Ein ähnliches Phänomen ist bei der Sportberichterstattung zu beobachten. Fanden vor einigen Jahren z. B. noch alle Fußball-Bundesligaspiele am Samstag statt, ist der Spieltag jetzt auf drei bis vier Tage gestreckt und an diesen Tagen auch noch auf unterschiedliche Anstoßzeiten, meist sechs verschiedene bei neun Spielen [2021]. Freitagsspiele, Samstagsspiele, Sonntagsspiele, dazu manchmal ein Montagsspiel, dann internationale Spiele am Dienstag, Mittwoch oder Donnerstag. Der Fußballzuschauer am Fernsehen kommt oftmals an keinem Wochentag mehr zur Ruhe. Er hat den einen Spieltag kaum "abgeschlossen", da kommt schon der nächste, und zwischenzeitlich gibt es auch im Sport immer mehr Talkshows, damit man pausenlos am Ball bleiben kann.

Der Inhalt der Dauerangebote konzentriert sich dabei – vereinfacht gesprochen – zunehmend auf Kämpfe gegeneinander. Ein aktueller Hit um das Jahr 2000: Die Serie Big Brother auf RTL 2: 100 Tage lang konnte man über Internet und Fernsehen ununterbrochen in eine Wohngemeinschaft einsteigen, die nach dem Prinzip der früher so genannten "Zehn kleinen Negerlein" funktionierte, wie die bekannte Erzählung im 19. und auch noch im 20. Jahrhundert genannt wurde: Alle zwei Wochen wird einer der ursprünglich zehn Bewohner abgewählt. Oder das von Bild, RTL und Phenomedia organisierte Moorhuhnschießen: Bereits über 200.000 Teilnehmer schießen Tag und Nacht Moorhühner ab, um im Kampf um die Hauptpreise dabei zu sein, bis zu drei Stunden am Stück, wie Teilnehmer berichten und es werden immer mehr. "Sucht nicht, aber Ehrgeiz", stecke dahinter, so rechtfertigte sich ein Teilnehmer in Bild. (25.4.2000)
 



Gibt es bei den Pokemon Gutes?

Dem Sog der Scheinwelt in den Medien kann man natürlich auch Positives abgewinnen. So wird bei Pokemon argumentiert, die Kinder lernen z. B. sich und ihre Interessen durchzusetzen, was sie z. B. auf das spätere Berufsleben vorbereite. Oder Hartmut Kasten vom Staatsinstitut für Familienforschung: Pokemon sei ein Spiel, das nach exakten Regeln verläuft. Und solche "Regelspiele entsprechen der inneren Entwicklungsdynamik der Kinder, ihrem Streben nach mehr Kompetenz, nach Wissen" (DS, 5.5.2000). Und Dr. Johannes Fromme von der Universität Bielefeld analysiert: "Bei dem Spiel müssen sich die Kinder um die Figuren kümmern, sie trainieren. Sie haben das Gefühl, Verantwortung zu tragen. Das stärkt ihr Selbstwertgefühl" (Bild, 12.4.2000). So erklärt z. B. der 13-jährige Pokemon Fan Henri Beck über seinen Erfolg am Gameboy: "Ich habe nur 60 Stunden gebraucht, um alle [Pokemon] einzufangen. Ich bin jetzt ein Pokemon-Meister" – der natürlich ständig weiter gegen Rivalen um die Verteidigung seines hart erkämpften Spitzenplatzes kämpfen muss. So würden sich auch neue Gemeinschaften bilden. Professor Aufenanger von der Universität Hamburg beruhigt besorgte Eltern pokemonbegeisterter Kinder damit, die Identifikation mit dem "Guten" bei den Pokemon sei sehr nützlich für die Entwicklung des Kindes. Dazu helfen auch Filmszenen, bei denen die Fabelwesen wie in einer großen Familie miteinander etwas Gutes tun. Doch auch der "Gute" siegt dort leider meist mit Gewalt – ganz so, wie jeder Militäreinsatz in der Welt der Erwachsenen damit begründet wird, der Einsatz der eigenen Waffen diene im Unterschied zu den Waffen der anderen dem Frieden.
In Japan ging die Pokemon-Serie eines Abends zu weit. Beim Zünden einer Bombe im Film zuckten fünf Sekunden lang "grellrote Blitze über den Bildschirm". Wegen der massiven Reizung der Gehirnzellen mussten über 700 Kinder danach in ärztliche Behandlung. Die Serie wurde kurzzeitig abgesetzt. Doch jetzt läuft sie in Japan und in immer mehr Ländern wieder besser denn je. "Schnappt sie euch alle!", so das Pokemon-Motto. Wie das wohl gemeint sein könntet?

 



 

Nach den Pokemon die Digimon – Hintergründe der Spielsucht der Kinder

"Greift nach den Sternen,
rettet die Erde !"

"Alles begann, als das Klima völlig außer Kontrolle geriet: Regenwälder vertrockneten und brütend heiße Städte wurden mitten im Juni urplötzlich zu Schneelandschaften ..." Das ist der Anfang von "Digimon": Es ist die Geschichte eines Jungen mit Namen Tai und seinen Freunden, die sich in einem Ferienlager erholen, als sie von dieser dramatischen Klimakatastrophe überrascht werden. "Bei einem Wolkenbruch hagelt es seltsame Gegenstände, die sich als magische Schlüsselanhänger herausstellen und die menschlichen Helden in die Digi-Welt verfrachten" (Games&More Nr. 10/2000). Die Digimon-Welt ist eine Parallel-Welt eines Konkurrenz-Konzerns zur Pokemon-Welt und nicht nur ein Kinderspiel mit Gameboy, Computer oder im Fernsehen. Es geht um weit mehr. Während bereits der Pokemon-Film Mewto gegen Mew bestimmte zwischenmenschliche ethische Wert hervor kehrte, geht es hier einen Schritt weiter sogar um die "Rettung der Welt".

RTL II: "Wir sind nur ein kleiner Baustein"

Andrea Lang vom Kinderprogramm des Fernsehsenders RTL II spricht im Kontext der Unterhaltungsindustrie von einer Wandlung beim Fernsehkonsum: "Das Kinderprogramm ändert sich allgemein in eine Richtung, wo es nicht mehr um einzelne Figuren geht, sondern ganze Welten entworfen werden. Das ist wie ´Big Brother` ein Phänomen, das über eine Fernsehsendung hinausgeht. Wir sind nur ein kleiner Baustein." (Welt, 19.8.2000)

Parallele Traumwelten

In großem Stil werden mit allen Mitteln der Verführungskunst parallele Traumwelten geschaffen, die Kinder aus ihrem normalen Alltag herausnehmen. Die Erfinder wissen, worum es geht. "Wir geben ihnen einen digitalen Traum, den sie den ganzen Tag herumtragen können", so ein Sprecher des Pokemon-Konzerns Nintendo (Stern Nr. 29/2000). Und: "Manchmal denken sie wochenlang an nichts anderes." Und wer so massiv in eine Bilderwelt hineingezogen wird, der kann langfristig leichter manipuliert und gesteuert werden.

Der japanische Konzern Nintendo, der die Rechte an den Pokemon hat, muss sich auf diesem Markt mittlerweile gegen den ebenfalls japanischen Konkurrenten Ban Dai behaupten, dem Erfinder der Digimon. Das Strickmuster ist im Grunde gleich: Kinder lassen im Gameboy oder mit Spielkarten Monster gegeneinander kämpfen und sich vernichten – im Dienste einer "guten" Sache. Digimon (= Digitale Monster) startete mit 200 Monstern (Pokemon: 150), die im Unterschied zu den Pokemon sprechen können und viele Evolutionsstufen durchlaufen können (Pokemon: bis zu 3). Damit wissen Sie jetzt, was "digivolvieren" bedeutet.

Rettung vor der Apokalypse?

Warum entwirft man solche Welten? Natürlich, um Milliarden zu verdienen, doch nicht nur. Digimon trifft den Puls der Zeit. Apokalyptische Zustände auf der Erde sind der Ausgangspunkt der Digimon-Erzählung, und Kinder wissen darum oder ahnen, in welche Richtung sich das Weltgeschehen entwickelt. Gleichzeitig arbeiten Gentechniker an der Schaffung neuer Welten und neuer Menschen. Sie sind auch in der Lage, Monster zu züchten, die es in der Digi-Welt bereits selbstverständlich gibt.

"Ich will nach Hause"

Doch jeder Mensch und jede Seele tragen in sich auch das Wissen um die ewige Heimat, nach der sie sich wieder zurücksehnen. So auch bei der Digimon-Handlung: Die Kinder sind in der Digimon-Welt gefangen und wollen wieder "nach Hause".
Auch der Kinderwunsch, ein positiver Held für andere zu sein, wird aufgegriffen. In den USA, wo die Fernsehserie schon weiter ist als in Deutschland, startete vor kurzem eine zweite Digimon-Staffel: Die Monster bedrohen jetzt nicht nur die Digi-Welt, sondern die gesamte Erde und alle Menschen. Die Kinder sind als Retter ausersehen, wobei ihnen "gute" Digimon helfen. Die Botschaft klingt tiefgründiger als bei Pokemon, wo es noch hieß: "Ich will der Allerbeste sein." Die Digimon-Botschaft heißt nun: "Ja, greif nach den Sternen, du bist bereit. Glaub an dich, bald ist es soweit, wir werden bei dir sein. Sei bereit!"
Das soll mitten ins Herz treffen und die Sehnsucht der Kinder anrühren. Doch wer genau wird dann bei mir sein und für welches Ziel wird man letztlich bereit sein?

Inspiration aus dem Jenseits?

Inspiration aus Astralreichen sind anzunehmen. Und auch in der materiellen Welt gibt es den Wunsch nach Rettergestalten. In der so genannten "Endzeit" sollen dies laut der "Offenbarung des Johannes" in der Bibel auch Menschen sein, die mit magischen Wundern die Menschheit in ihren Bann ziehen, aber der dunklen Macht angehören. Dass es bei diesem prophezeiten Phänomenen nicht um harmlose Zaubervorführungen geht, auch darauf bereiten Pokemon und Digimon in gewisser Weise vor: Im Kampf Mensch gegen Mensch, Monster gegen Monster, Mensch gegen Monster, muss der Gegner jeweils vernichtet werden. Im Digimon-Hit heißt es dazu: "Digimon wird dich begleiten, der beste Freund aller Zeiten."

 


Näheres zur Information über das "Pokémon-Go-Phänomen" aus dem Jahr 2016 siehe unter anderem bei www.spiegel.de
 

Der Text kann wie folgt zitiert werden:
Zeitschrift "Der Theologe", Hrsg. Dieter Potzel, Ausgabe Nr. 96, Pokemon – ein Griff nach der Seele unserer Kinder, Wertheim 2000, zit. nach theologe.de/pokemon.htm, Fassung vom 22.10.2022;
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