"Vorbild war Meiser nicht"
   Theologe übt scharfe Kritik an Bayerns erstem Landesbischof

Aktualisiert am 30.6.2022


NÜRNBERG - Dieter Potzel (46) war bis 1992 evangelischer Pfarrer in Bamberg. Vieles an der Kirche, wie z. B. die Befürwortung des 1. Golfkriegs, konnte der überzeugte Pazifist nicht mehr mittragen. Er legte sein Amt nieder und ist heute als Theologe und Bestatter in Unterfranken tätig. Auf seiner privaten Internetseite (https://www.theologe.de) publiziert er Beiträge zu religiösen und kirchenpolitischen Themen.

Abendzeitung: Als ehemaliger Pfarrer in Bamberg müssten Sie eigentlich die postalische Anschrift Ihres damaligen Chefs, des bayerischen Landesbischofs, kennen?

Potzel: Natürlich. Es ist die Meiserstraße in München. Dort hängt im Büro des Landesbischofs auch immer noch ein Porträt von Meiser.

Immer noch? Das klingt so, als würden Sie es ganz gerne abhängen.

Besser wäre es, wenn die Kirchenleitung endlich zu der Einsicht käme, das Bild von der Wand zu nehmen. Und noch besser wäre es, wenn sich die evangelische Kirche klar und deutlich von diesem Mann distanzieren würde. Aber stattdessen ist das genaue Gegenteil der Fall. Heuer, aus Anlass, des 50. Todestages, wird auch noch das Meiser-Gedenkjahr gefeiert.

Immerhin war er der erste Landesbischof in Bayern und hat sich nach Darstellung der Kirche sehr verdient gemacht.

Selbst wenn man die positiven Aspekte seines Wirkens herauspickt, kann Meiser bei einer Würdigung seines Gesamt-Lebenswerkes wirklich kein Vorbild sein, der Auszeichnungen, welcher Art auch immer, verdient hätte.

Sie spielen damit auf seinen Antisemitismus an?

Das ist ein wesentlicher Gesichtspunkt, aber nur einer von vielen. Ich darf nur daran erinnern, dass Meiser sich schon viele Jahre vor der Machtergreifung der Nazis für die „Reinhaltung deutschen Blutes“ aussprach und Ehen zwischen Deutschstämmigen und Juden nicht billigte. Er entsprach damit genau der Diktion der Nazis, die später in den „Nürnberger Rassegesetzen" manifestiert wurde und die Grundlage für den Holocaust bildete.

Anders ausgedrückt: Meiser war ein Wegbereiter der Judenverfolgung?

Er war einer jener Männer, die dazu beigetragen haben, dass die Nazis den Rückhalt in der Bevölkerung fanden und dadurch ihre Macht aufbauen konnten. Was glauben Sie, welche Wirkung das unter den Kirchenmitgliedern hat, wenn Autoritätspersonen wie Meiser von Anfang an die Machtübernahme Hitlers feiern, von einem Aufbruch reden und das Regime voll Begeisterung in ihre Gebete einschließen?

Vielleicht waren die Absichten der Nazis im Jahr 1933 auch nicht so leicht zu durchschauen?

Hans Meiser schrieb schon 1926, dass es den „radikalen“ Antisemiten um die „Ausmerzung der Juden aus dem Volkskörper“ geht, und er stellte sich dennoch bewusst mit ihnen in eine Front; auch wenn er als Alternative zum Verfolgen vorschlug, die Juden durch Bekehrung zum Christentum „rassisch“ zu veredeln. Man muss sich das alles einmal vorstellen, da kommt einem das Grauen. Außerdem hat er ja seine Ansichten nicht geändert. Er war ein politischer Opportunist von Anfang bis zum Ende. Nur in die Lehre seiner Kirche wollte er sich nicht hineinreden lassen, was die Nazis auch akzeptiert haben. Dafür hat er dann in der Hochphase des Krieges in den Kirchengemeinden für Hitler und den Endsieg beten lassen. Mit seiner Kriegsbegeisterung hat er zahllose Menschen in die Irre geführt und in den Krieg getrieben, indem er Gott für die Sache der Nazis vereinnahmte.

Das „Stuttgarter Schuldbekenntnis" des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland nach den Zusammenbruch des NS-Regimes hat aber auch Meiser mit unterschrieben.

Was steht denn drin? Allgemeine und unverbindliche Worte ohne Eingeständnis eines einzigen konkreten Fehlers. Ein echtes Bekenntnis der Mitschuld an den Gräueln des Dritten Reichs müsste anders aussehen. Und so war die Erklärung v. a. ein taktischer Schachzug, um die evangelische Kirche wieder an der Seite der neuen Machthaber zu etablieren. Dahinter steckt die Strategie: Immer mit den Mächtigen verbündet zu sein, sich aber nie an ihr Schicksal zu binden.

Können Sie das noch ein bisschen anschaulicher darstellen?

Nehmen Sie Neuendettelsau. Die Gründung der Augustana-Hochschule und des Pastoralkollegs werden als große Leistung Meisers dargestellt. Von seiner Rolle, die er während des Dritten Reichs spielte, als er schweigend und tatenlos zusah, wie behinderte Kinder aus den kirchlichen Einrichtungen in Tötungsanstalten abtransportiert wurden, spricht in der Kirchenleitung selten jemand. Und auch nicht davon, dass er nach der Nazi-Herrschaft Absprachen traf, um die Vorgänge unter dem Teppich zu halten. (hr)

Quelle: Abendzeitung Nürnberg, 6.3.2006


Anmerkung: Bei den kursiv gesetzten Wörtern in den Antworten von Dieter Potzel wurden von ihm aus Gründen der Präzisierung nachträglich geringfügige Änderungen vorgenommen.


Weitere Artikel bzw. Dokumentationen über Landesbischof Meiser im Jahr 2006 in der Abendzeitung, z. B.:
4./5.3. -  Ein Bischof unterm Hakenkreuz: Nürnberger Politiker kritisieren geplante Gedenkfeier
             der Landeskirche
2.4. -      Kritik an Kirche wird lauter: Arno Hamburger: Gedenkgottesdienst für Bischof Meiser unangebracht
5.4. -      Kirchliche Hilfe für die Nazi-Verbrecher: Die unrühmliche Rolle des bayerischen Landesbischofs
              Hans Meiser

Der Text kann wie folgt zitiert werden:
Zeitschrift "Der Theologe", Hrsg. Dieter Potzel, "Vorbild war Meiser nicht", Wertheim 2006, zit. nach theologe.de/landesbischof_meiser.htm,
Fassung vom 30.6.2022, Copyright © und Impressum siehe hier.

 

 [ Der Theologe - Ausgabe Nr. 11 über Landesbischof Meiser

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