Bekämpfte Wahrheiten: Das System Kirche kommt an die Macht

Der Theologe Nr. 80, aktualisiert am 24.7.2022


Dem "Lügengriffel" in der Bibel auf der Spur

Sokrates und Plato – Wegweiser zu Christus

Wie die "Götzenkulte" die Oberhand gewannen

Der "heilige Krieg" gegen das arianische Christentum


Teil 1
Dem "Lügengriffel" in der Bibel auf der Spur

Wie konnte Mose über seine eigene Beerdigung berichten? (5. Mose 34) Wie ist es möglich, dass der Gott der Liebe, der Vater aller Menschen und Seelen, rücksichtslos Eroberungsfeldzüge befiehlt und zu Mord- und Totschlag, Plünderung und Vergewaltigung aufruft? Den Schlüssel zum Verständnis gibt der Gottesprophet Jeremia, der den Priestern und Schriftgelehrten seiner Zeit vorhielt: "Wie könnt ihr sagen: Weise sind wir, und das Gesetz des Herrn ist bei uns? Ja! Aber der Lügengriffel der Schreiber hat es zur Lüge gemacht." (Jeremia 8, 8)

Dass Er verkündet: "Ich will meine Pfeile mit Blut trunken machen, und mein Schwert soll Fleisch fressen, mit Blut von Erschlagenen und Gefangenen, von Köpfen streitbarer Feinde"? (5. Mose 32, 42) Wie kann es Gottes Wille sein, dass schon auf geringe "Vergehen" die Todesstrafe steht: Ehebruch, Ungehorsam gegenüber den Eltern oder Priestern, Wahrsagen, Geisterbeschwörung, Homosexualität – so wurde es angeblich von Mose angeordnet. (2) Offenbar fordert dieser grausame Gott nicht nur Tier-, sondern sogar Menschenopfer: die Erstgeborenen jeder Familie, die dann mit Abgaben an den Tempel ausgelöst werden konnten bzw. mussten (2. Mose 13).

Wie kann das alles stimmen? Diese Frage bewegte Menschen, seit es die Schriften des Alten Testamentes gibt. Origenes, der große Theologe des 3. Jahrhunderts (184-253), hatte mit einer textkritischen Methode bereits verschiedene Einschübe und Veränderungen im ursprünglichen Text erkannt und kenntlich gemacht. Doch die Kirche verurteilte ihn im 6. Jahrhundert als Ketzer – und seine Werke gingen zum großen Teil verloren. Erst im 18. Jahrhundert, in der freieren Luft der Aufklärung, machten sich kritische Geister wieder an die Arbeit. Dem Hildesheimer Pfarrer Bernhard Witter fiel 1711 auf, dass Gott in einem Teil der Schriften als "El", in einem anderen Teil als "Jahwe" (Ich Bin, der Ich Bin) bezeichnet wird. Daraus schloss er, dass es zwei unterschiedliche Quellen für die Texte gegeben haben muss.

Was der Griffel der Schriftgelehrten und Priester wohl alles an der Wahrheit verdreht hat?

Heute geht die Forschung von vier Hauptsträngen der Überlieferung aus, die sich zum Teil erheblich voneinander unterscheiden. Der älteste Strang wird als "Jahwist" bezeichnet. Dieser Jahwist scheint in der Zeit des Königs Salomo (965-926 v. Chr.) gelebt zu haben, denn er beschreibt viele Vorgänge an dessen Hof. Der Jahwist "schildert, wie Jahwe durch zurückhaltendes Eingreifen den auf der Suche nach verloren gegangener Seligkeit immer wieder strauchelnden und vom rechten Weg abkommenden Menschen" wieder zu Gott zurückführt. (3) Der Alttestamentler Gerhard von Rad bezeichnet "die künstlerische Meisterschaft dieses Erzählers als eine der größten Leistungen der Geistesgeschichte aller Zeiten". "Dieses Erzählen strömt ein überwältigendes Vertrauen in die Nähe Jahwes aus, in die Unmittelbarkeit seines Waltens und die Möglichkeit, von dem allen aufs einfachste in der neuen religiösen Sprache zu reden." (4)

Wegen dieser einfachen Sprache und der Bescheidenheit des Schreibers hält die Wissenschaft etwas Nahe liegendes nicht für möglich: Dass der Jahwist König Salomo selbst war. Dies behauptet der Schweizer Historiker Robert Sträuli in seinem Buch Salomo – die Königsquelle (5). Schon bald sei jedoch die klare Linie der Treue zu den Geboten Jahwes wieder verlassen worden. Die Jahwetreuen gerieten im Volk der Israeliten immer mehr in die Minderheit.

Von Anfang an hatte es unter den Israeliten unterschiedliche Strömungen gegeben. Auch in den einzelnen Menschen rangen, wie in jedem von uns, verschiedene Bestrebungen und Gene miteinander. Abram, später Abraham genannt, stammte aus einer Familie, die Sklavenhandel betrieb. Er selbst distanzierte sich davon – doch seine Urenkel, die Söhne des Jakob, verkauften ihren Stiefbruder Josef in die Sklaverei nach Ägypten. Als Josef dort zu Macht und Ansehen aufstieg, ließ er selbst Menschen versklaven, die im zweiten Hungerjahr nichts mehr zu essen hatten (1. Mose 47, 18). Ähnlich war es mit anderen Charakterzügen – Gewalt, Vielweiberei, oder die Vorstellung, einen heidnischen Gott durch blutige Schlachtopfer besänftigen zu müssen. Am Berg Sinai tanzten die Israeliten um das goldene Kalb fremder Götter.

Tieropfer sind Gott ein Gräuel

Die Propheten Jahwes hatten in Seinem Namen Blut- und Brandopfer immer abgelehnt. "Was soll mir die Menge eurer Schlachtopfer?" sprach Gott durch Jesaja. "Satt habe Ich die Brandopfer von Widdern und das Fett der Mastkälber, das Blut der Stiere und Lämmer und Böcke mag Ich nicht ... Bringt nicht mehr unnütze Gaben – ein Gräuelopfer ist es Mir! ... Hört auf, Böses zu tun, lernt Gutes zu tun!" (Jes. 1, 11-17) Die Religion Jahwes war also eine Innere Religion, bei der es auf Selbsterkenntnis und gute Taten ankam, nicht auf äußere Rituale. In der assyrischen und babylonischen Gefangenschaft, in die die Israeliten verschleppt wurden, verstärkte sich jedoch die Neigung zu heidnischen Bräuchen. Der Jude Esra war in der Kanzlei des persischen Königs beschäftigt, der Babylon erobert hatte (539 v. Chr.). Esra erhielt vom Perserkönig Kyros die Erlaubnis und den Auftrag, in Jerusalem den Tempel wieder aufzubauen, den die Babylonier zerstört hatten. Es sollte ein Tempel sein, in dem Schlacht- und Brandopfer dargebracht werden. Zuvor war es wohl Esra, der möglicherweise auf Geheiß des Perserkönigs die Schriften der Israeliten "überarbeitet" hat – man spricht auch von einer so genannten "Priesterschrift". Viele der für uns heute unverständlichen "Gesetze" der Bücher Mose stammen wahrscheinlich von Esra. Er brachte an vielen Stellen babylonische Rituale und Bräuche in die Texte hinein, die in ihrer Gesamtheit ein Kultsystem einer äußeren Religion ergeben, deren Durchführung von einer Priesterkaste streng kontrolliert wird. Außerdem wurde die Stellung der Frau stark verschlechtert.

Gefälschte Zeugen für die grausamen Tieropfer

Zur Rechtfertigung des heidnischen Tieropferbrauchs, der die Menschen abstumpft und verrohen lässt, wurden von späteren "Verbesserern" der Texte unter anderem David und Salomo Tieropfer angehängt. Außerdem berief man sich auf Abraham, der seinen Sohn opfern wollte. Abraham hatte eine Weisung Gottes, seinen Sohn nicht zu vergöttern, missverstanden, weil er von heidnischen Vorstellungen noch nicht frei war. Ein Engel Gottes verhinderte die Bluttat.

Eine andere Rechtfertigung nimmt den Propheten Elia zum angeblichen Kronzeugen. Dieser soll den ihm feindlich gesinnten König Ahab zu einem "Gottesurteil" aufgefordert und seinem Gott Jahwe ein Tieropfer dargebracht haben. Als er gegen 450 Baalspriester "gewann", soll er diese auch noch umgebracht haben (1. Könige 16-19). Wahrscheinlich wurde jedoch die Gewalttat des späteren Königs Josia einfach 200 Jahre auf Elia zurückprojiziert und damit gerechtfertigt. Sicher handelt es sich um eine Fälschung, denn ein wahrer Gottesprophet wie Elia bringt niemanden um, auch nicht seine Gegenspieler.
 

Die Finsternis darf sich am Licht messen

Wer von den Israeliten unter diesen Umständen nicht in die alte Heimat zurückkehren wollte, wurde mit dem Tod durch Pfählung bestraft (Esra 6, 11). Später bezahlten auch Johannes der Täufer und Jesus von Nazareth ihren Protest gegen die Herrschaft der Priesterkaste mit dem Leben. Die Samariter, die sich weigerten, die Rituale und Vorschriften des Zweiten Tempels anzuerkennen, wurden seit dieser Zeit verachtet und ausgestoßen.

Dass wichtige Teile der Schriften der Bibel verfälscht waren, war den Hebräern lange Zeit noch bewusst. Die großen Gottespropheten wiesen sie immer wieder darauf hin. So steht bei Jeremia zu lesen: "Wie könnt ihr sagen: Weise sind wir, und das Gesetz des Herrn ist bei uns? Ja! Aber der Lügengriffel der Schreiber hat es zur Lüge gemacht." (Jeremia 8, 8)

Wenn Gott durch Seine Wortträger und durch erleuchtete Menschen Seine Botschaft auf die Erde bringt, so darf sich die Finsternis an diesem Licht messen. Es gelingt ihr um so eher, je weniger die wahren Gesetze Gottes von den Menschen im Alltag befolgt werden. Dies war nicht nur im Alten Testament so – auch das frühe Christentum wurde auf ähnliche Weise verfälscht. Und mithilfe des angeblichen Rachegottes des Alten Testamentes rechtfertigten die Kirchen über Jahrhunderte hinweg Kriege und Grausamkeiten. Das falsche Bild des strafenden Gottes, das ungezählte Generationen von Kirchenchristen bis heute in Angst und Neurosen gefangen hielt und hält, ist noch immer in Kraft – denn beide Kirchen halten die gesamte Bibel für von Gott inspiriert. Laut katholischem Katechismus wird das Alte Testament sogar im Neuen "vollendet" (Lehrsatz Nr. 140). Ist damit die Steigerung an Kriegen und Katastrophen gemeint, die im 20. Jahrhundert durch Menschen verübt wurden, die sich Christen nennen?

(2) 3. Mose 20, 10;  21, 18;  5. Mose 17, 12;  3. Mose 20, 27;  20, 11-17
(3) Robert Sträuli, Die Textgeschichte der Bibel, in: Museion 2000, 5/1997
(4) zit. ebenda
(5) ABZ-Verlag Zürich, 1989

 


 

Teil 2
Sokrates und Plato – Wegweiser zu Christus?

Im Olymp lebten alle Geschöpfe in Seligkeit und Harmonie – bis ein hohes Wesen des Olymps mit Namen Eosphoros (der Lichtträger) sich gegen diese Ordnung des Schönen und Guten auflehnte und selbst die Leitung der Schöpfung übernehmen wollte. Es gelang Eosphoros, einen Teil der Wesenheiten des Olymps für sich zu gewinnen. Doch Zeus befahl, dass der abtrünnige Geist und seine Anhänger aus dem Olymp verbannt und in den Hades (die Unterwelt) gestoßen wurden. Die Rückkehr in den Olymp wird ihnen erst dann wieder möglich sein, wenn ein anderes hohes Wesen des Himmels in die Unterwelt eindringt und deren Herrscher besiegt.
Soweit ein (weniger bekannter) Ausschnitt aus der Mythologie der alten Griechen. Wer die Bibel kennt, müsste eigentlich stutzig geworden sein: Im letzten Buch der Bibel, in der Offenbarung des Johannes, steht eine ähnliche Geschichte, die ebenfalls von einem "Engelsturz" berichtet:

"Und es entstand Krieg im Himmel, so dass Michael und seine Engel Krieg führten mit dem Drachen ... Und geworfen wurde der große Drache, die alte Schlange, genannt der Teufel und der Satan, der den ganzen Erdkreis verführt, geworfen wurde er auf die Erde, und seine Engel wurden mit ihm geworfen." (Ofb. 12, 7-9)
Der Michael der biblischen Geschichte heißt bei den Griechen Kronos. Der "Teufel" wird in der christlichen Geisteswelt auch als Luzifer (Lichtträger) bezeichnet – die wörtliche Übersetzung von Eosphoros ins Lateinische. Und der "Hohe aus dem Olymp", der in das Reich des Luzifer vordringen wird, wäre dann niemand anderer als der "Gesalbte" – griechisch Christos. Dieser verkörpert den Logos, das "leibhaftige Wort Gottes" (Sokrates) oder "das Gesetz, dem der Mensch und der ganze Kosmos unterworfen sind" (Plato). Plato setzte dieses Gesetz mit der Weisheit (Sophia) gleich. Unwillkürlich denkt man an den Beginn des Johannes-Evangeliums: "Im Anfang war das Wort (der Logos) ..." In unserer Zeit trägt das Hauptwerk des Christus-Gottesgeistes, der sich durch Prophetenmund wieder offenbart und den Menschen den Weg zurück zu Gott weist, den Titel: Das ist Mein Wort  – das-ist-mein-wort.

Der Logos und der Sohn Gottes

Plato (427-347 v. Chr.), der Schüler des Sokrates (469-399 v. Chr.), spricht an einer Stelle vom Logos sogar als dem "Bildner des wunderbar geordneten Weltalls, der Sohn des über allen waltenden Gottes". Von daher verwundert es nicht, wenn der frühchristliche Philosoph Justin der Märtyrer (gestorben in Rom um 165 n. Chr.) Sokrates als einen "Christen" bezeichnet, da er im Besitz der Wahrheit um den Logos gewesen sei. Origenes sagt Ähnliches über Plato.
Die frappierende Übereinstimmung der Glaubensinhalte zwischen einem Teil des griechischen Volkes und der frühen Christenheit erleichterte die Ausbreitung des christlichen Glaubens in der damaligen Griechisch sprechenden Welt. Diese Übereinstimmung bestätigt indirekt auch ein Bannfluch, der im Jahre 543 anlässlich einer Synode in Konstantinopel von Kaiser Justinian ausgesprochen wurde:
"Wer behauptet, glaubt oder für möglich hält, die Seele des Herrn habe schon vor dessen Menschwerdung und vor seiner Geburt aus der Jungfrau Maria bestanden und sei der göttliche Logos gewesen – den treffe der Bannfluch!"
Auf derselben Synode wurde indirekt auch die Lehre der Wiederverkörperung von der Kirche verworfen. An diese glaubten nicht nur Sokrates und Plato, sondern schon der Philosoph Pythagoras (geb. um 600 v. Chr.). Dieser wurde für über zehn Jahre (525-514) an den Hof des Königs von Babylon verschleppt. Dort hielten sich damals noch zahlreiche Israeliten auf, so dass Pythagoras auch die Schriften der späteren Bibel kennen gelernt haben könnte, die dort als das Werk Salomos bezeichnet werden (siehe oben Teil 1). Im Buch der Weisheit wird der Gedanke "... und keiner kommt zurück" (aus dem Reich des Todes) als "verkehrter Gedanke" bezeichnet! (Weisheit 2, 5)

Vegetarismus und Wiedergeburt

Pythagoras warb übrigens auch für eine vegetarische Ernährung, und zwar aus ethischen Gründen. Die hohe Ethik der ionischen Griechen, die wir auch bei Homer, Hesiod, Heraklit und vielen anderen finden, stammt aber sicherlich auch aus eigenen, inneren Quellen. Sokrates berief sich z. B. auf eine "innere göttliche Stimme". Er sprach von dem verborgenen Gott, der in der unsterblichen Seele jedes Menschen lebt.
Doch weshalb wurde Sokrates zum Tode verurteilt? Weshalb wurde im 6. Jahrhundert nach Christus der letzte Rest griechischer Geistigkeit, die Origenes (184-253 n. Chr.) in genialer Weise mit dem frühen Christentum in Verbindung gebracht hatte, von der Kirche verdammt?
Wir haben es hier offenbar mit einem geistigen Kampf zu tun, der immer wieder in der Geschichte der Menschheit auftrat: Das Wissen um den Sinn des Erdenlebens und um die höhere Ethik und Moral, die den Menschen Gott wieder näher bringt, wurde von Gegensatzkräften bekämpft. Dies gelingt umso mehr, je weniger wir Menschen das im täglichen Leben verwirklichen, was an geistigem Gut in den einzelnen Zeitepochen gelehrt wurde und wird. Ähnlich wie im Alten Testament (siehe oben Teil 1), und ähnlich wie im Falle des Jesus von Nazareth war es wiederum die Kaste der Priester, die in diesem Kampf die Hauptrolle spielte. Sokrates wurde wegen angeblicher Gotteslästerung angeklagt und musste den Schierlingsbecher trinken. Doch welche Götter waren es, die Sokrates angriff?

Der Gott der Unterwelt

Neben der – oder vielmehr gegen die – Auffassung eines himmlischen Gottvaters Zeus, der als der Inbegriff des Guten und Schönen galt, machte sich unter den Griechen auch eine entgegen gesetzte Auffassung breit: Der Zeus, der sich von menschlichen Schwächen beherrschen lässt, der unberechenbar ist. Unter verschiedenen (Götter-) Masken schlich sich der Gott der Unterwelt in den Olymp ein: der bocksbeinige Dionysos (man denke an die Redensart: "den Bock zum Gärtner machen"), der sich und andere berauschte; der scheinbar schöngeistige Apollo, dessen Name (von Abullu) dem babylonischen Baal, dem Gott der Unterwelt, verdächtig ähnlich klang; der Keulen schwingende Herkules – ein verdächtig brutaler "Held" fürwahr. Diese drei Götter bildeten eine "Dreifaltigkeit" – ähnlich der kirchlichen Dreifaltigkeit späterer Jahrhunderte. Während Pythagoras blutige Opfer ablehnte und auf die klare Vernunft des Menschen setzte, wurden andernorts in geheimnisumwitterten Orakelstätten mit Opfertieren und Rauschmitteln angebliche Zukunftsvisionen ermittelt. Bei den Kretern und den Spartanern waren zeitweise sogar Menschopfer üblich; die Spartaner setzten schwächliche Kinder einfach aus oder warfen sie in Abgründe.
Die Ordnung schaffende "Engelsgestalt" Kronos/Michael, dessen Symbol ein Stier war, wurde symbolisch in Form lebendiger Stiere gequält und getötet. Bis heute haben sich möglicherweise Reste dieses Brauches, über Jahrhunderte weiter verbreitet, im spanischen Stierkampf erhalten.
Solche heidnischen Bräuche und Göttervorstellungen bekämpfte Sokrates mit feinem Spott und tiefgründigen Fragen. Deshalb musste er sterben. Das ionische Griechentum unterlag dem dorischen Griechentum (siehe unten).  Dennoch blieb vieles von der hoch stehenden Botschaft erhalten, die das freie Griechenland der Menschheit vermachte. In späteren Jahrhunderten, als die Macht der Kirche nachließ, kam es wieder an die Oberfläche. Seine eigentliche Botschaft ist heute aktueller denn je. (Matthias Holzbauer)

Stelle dir vier Fragen am Abend
Lasse die Sonne
nicht den westlichen Horizont erreichen,
noch lass den Schlummer nah’n
deinen sinkenden Lidern,
eh’ du nicht die Ereignisse
des eben vergangenen Tages überprüft
und die folgenden Fragen gestellt hast:
Was habe ich heute getan, das gut war?
Was habe ich heute getan, das schlecht war?
Habe ich jemanden versetzt?
Habe ich meine Pflicht versäumt?

Lasse die untergehende Sonne
nicht den westlichen Horizont erreichen,
noch schließe die Augen zum Schlaf,
ehe du nicht dir dreimal
diese Fragen gestellt hast.


(Pythagoras)

 



Teil 3
Wie die Götzenkulte die Oberhand gewannen

Jesus von Nazareth, der größte Prophet aller Zeiten, zeigte den Menschen Seiner Zeit und nach Ihm bis heute den Weg zum Herzen Gottes auf. Er musste dabei nicht nur gegen die Verstocktheit Seiner unmittelbaren Umgebung ankämpfen, sondern auch immer wieder gegen das durch die "Lügengriffel der Schreiber" (siehe Teil 1) verfälschte jüdische Gesetz, das Mose untergeschoben wurde. Denn viele Menschen waren überzeugt, sie könnten durch die äußere Einhaltung von Vorschriften und durch Tieropfer den Himmel erreichen, statt durch innere Wandlung und durch Aufopferung ihres Egos.

Porträtmedaillon einer christlichen Familie um 220. Die ersten Christen wussten noch um die Wiederverkörperung der Seele

Nach dem Tod des Nazareners bauten urchristliche Gemeinden auf der hohen Ethik auf, die Er gebracht hatte. Die Glieder der Urgemeinden waren untereinander gleichberechtigt, auch die Frauen gegenüber den Männern. Sie wurden von Christus unmittelbar geführt durch das innere Wort von Propheten und Prophetinnen. Die Urgemeinden waren Lebens- und Arbeitsgemeinschaften, in denen jeder durch seiner Hände Arbeit seinen Lebensunterhalt erwirtschaftete und darüber hinaus etwas zum Gemeinwohl beitrug. Priester gab es keine. Die ersten Christen feierten ein gemeinsames Liebesmahl, bei dem sie vegetarische Speisen verzehrten. Die ersten Christen kannten auch keine Säuglingstaufe und keine Beichte.

Es fehlte an Vorbildern

Die periodisch auftretende Verfolgung der Christen durch die römische Herrschaft veranlasste die Urchristen einerseits zu großem Bekennermut, andererseits wurden die Gemeinden dadurch geschwächt, weil gerade die Stärksten das Martyrium auf sich nahmen. In Zeiten größerer Toleranz des Staates drängten viele Heiden, die ihre Vorstellungen mitbrachten, in die Gemeinden. Es fehlte jedoch an Vorbildern, an Urchristen, die ihnen aus der eigenen Verwirklichung der Gesetze Gottes eine klare Linie vorgaben.

"Denn er [Origenes] sagt, dass die Seelen vor den Körpern existierten und aus der Heiligkeit in böse Begierden verfielen und von Gott abfielen; aus diesem Grund habe er sie verurteilt und eingekörpert, und sie seien im Fleische wie in einem Gefängnis."

(Kyrill, Bischof von Alexandria)

Für Menschen aus den damaligen antiken Mysterienkulten war es einfacher vorstellbar, an einen einzigen Gott zu glauben, der ihnen die Erlösung von allen Sünden zusichern konnte – möglichst ohne eigenes Zutun. Sie waren eine strenge Hierarchie und eine Priesterkaste gewohnt, die als Vermittler zwischen Gott und den Menschen auftraten. Sie hielten rituelle Messopfer und Prozessionen ab, verehrten Götterstatuen und glaubten an eine "Dreifaltigkeit" (z. B. Jupiter, Juno und Minerva). All diese Elemente aus den heidnischen Mysterienkulten und noch viele mehr fanden in der Folgezeit Eingang in die Institution Kirche. Damit gewannen die "Götzenkulte" innerhalb der Kirche immer mehr an Einfluss.

Die Bischöfe – ursprünglich Verwalter der Kasse der Gemeinde – und die Diakone – die Organisatoren – spielten sich immer mehr in den Vordergrund. Um ihre Machtposition weiter auszubauen, waren sie am Zustrom möglichst vieler Heiden in die Gemeinden interessiert. Um dies zu erleichtern, setzte man die moralischen Anforderungen an die neu eintretenden Gemeindeglieder herunter.

Die Lehre des Origenes und "billige" Erlösung der Kirche

Christus wurde für die Heiden herausgestellt als "einziger Gott", der die Erlösung gebracht hat – sprich: alle Sünden sind dadurch weggenommen. Dies ist bis heute zentrale Lehraussage beider Kirchen!

Einer, der sich gegen diese Verfälschung der ursprünglichen christlichen Lehre stemmte, war Origenes. Um 184 in Alexandria (Ägypten) als Sohn eines griechischen Kaufmanns geboren, besuchte er die einige Jahrzehnte zuvor gegründete Christenschule in seiner Heimatstadt. Eine solche Einrichtung würde man heute wohl als "Privatuniversität" bezeichnen – sie war weithin bekannt und vermittelte die christliche Ethik in Verbindung mit der hellenistischen Philosophie eines Pythagoras, Sokrates und Platon (vgl. Teil 2). Schon als 18jähriger baute Origenes diese Schule nach einer Christenverfolgung neu auf. Später wurde er, wie sein Vorgänger Klemens von Alexandria (und wie einer seiner Nachfolger, Arius, von dem noch die Rede sein wird) aus Alexandria vertrieben, weil dort immer wieder Bischöfe aus Machtgründen eine billigere Ethik befürworteten und dabei auch vor Tätlichkeiten gegen theologische Gegner nicht zurückschreckten.

"Denn indem so eine Geburt auf die andere folgt, will sie uns im allmählichen Fortschreiten zur Unsterblichkeit führen."

(Clemens von Alexandria, Stromateis IV, 160,3)

Origenes ging nach Palästina. In jahrzehntelanger Arbeit analysierte er genauestens die "heiligen" Schriften der Juden und arbeitete heraus, was ursprüngliche Texte und was spätere Einschübe der Schriftgelehrten waren. In einigen Fällen gelang es ihm, Bischöfe, die einer (vor allem von Rom ausgehenden) Verfälschung der Lehre das Wort redeten, wieder von der ursprünglichen Wahrheit zu überzeugen.
Doch Origenes starb im Jahre 254 an den Folgen der Folterungen, die er bei der Christenverfolgung von 250 erlitten hatte. Es dauerte Jahre, bis jemand an seine Arbeit wieder anknüpfte. Einer davon war Arius, der jedoch von seinem Widersacher Athanasius, einem bekannten Wortverdreher und Verleumder, vertrieben und gejagt wurde. 336 starb Arius in Konstantinopel, höchstwahrscheinlich durch Gift.
Bis dahin hatte sich bereits ein fataler Wandel vollzogen. Kaiser Konstantin, ein blutrünstiger Tyrann und bis zu seinem Todestag ein Anhänger heidnischer Kulte, hatte das bereits zum Scheinchristentum herabgesunkene Christentum zu seiner Staatsreligion gemacht. Der "christliche" Klerus wurde privilegiert und half ihm seinerseits, seine Herrschaft ideologisch abzusichern. Konstantin verschmolz den heidnischen Glauben – in dem der Gedanke eines einzigen Gottes auf dem Vormarsch war – mit dem scheinchristlichen. Auf dem Konzil von Nizäa (325) setzte er durch gewiefte Taktik das Dogma der "Wesensgleichheit" von Gott und Christus durch. Später wurde auch noch der heidnische Gedanke einer Dreifaltigkeit von drei "wesensidentischen" Göttern im kirchlichen Dogma verankert. Dies kam heidnischen Vorstellungen entgegen. Eine völlige Identität dreier "Götter" in einem ist jedoch unlogisch. Hier wurde durch eine verwirrende Lehre der Boden bereitet für das spätere Aufkommen des Islam, der aus dem Judentum und dem Christentum hervorging und all diese Ungereimtheiten mit einem Federstrich beiseite wischte.

Zurück zum 4. Jahrhundert. Noch war das Ansehen des Origenes, vor allem im oströmischen Raum, zu groß, um ihn direkt verurteilen zu können. Man bekämpfte vielmehr zunächst die (mit Origenes weitgehend übereinstimmenden) Aussagen des Arius, die man diesem teilweise im Mund herumdrehte.

Ein Schatten wird verurteilt

Wenn man einen Gegner (noch) nicht direkt bekämpfen kann, verfälscht man seine Aussagen. Genau das taten Generationen von Theologen mit Origenes, darunter so bekannte Köpfe wie der "heilige" Hieronymus. Man leugnete oder vertuschte, dass Origenes (wie Salomo, Pythagoras und Sokrates) die Wiedergeburt gelehrt hatte, das Gesetz von Saat und Ernte und die Wiederherstellung aller Dinge. Letztere besagt, dass alle gefallenen Engel einst wieder bei Gott sein werden. Eine ewige Verdammnis gibt es nicht.

Vor allem in Ägypten gab es zahlreiche fanatische Mönchsgruppen, die sich auf Origenes beriefen. Es kam sogar zu tätlichen Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Gruppen innerhalb der Kirche, wobei die angeblichen Origenisten eine Lehre verteidigten, die mit diesem kaum noch etwas zu tun hatte. 399 verurteilte Bischof Theophilus von Alexandria die Lehre des Origenes – oder das, was davon noch übrig war –, um seine Gegner zu schwächen. "Man verurteilte ... nur noch Origenes’ Schatten", schreibt Robert Sträuli in seinem Buch Origenes, der Diamantene.

"Das ist ja nur unsere Hülle [d. h. der Körper des Menschen], die uns aus Anlass unseres Eintritts in diese Welt von außen umgelegt ist, damit wir diese gemeinsame Erziehungsanstalt [die Erde] betreten konnten; aber verborgen im Inneren wohnt der Vater und sein Sohn, der für uns gestorben und mit uns auferstanden ist."

(Clemens von Alexandria, Paidagogos, Kap. 33, 6)

Fragen selbst verliehen hatte. Im Jahre 543 formulierte der Kaiser auf einer Synode der Ostkirche neun Bannflüche gegen die Lehre des Origenes (und damit gegen wesentliche Teile der ursprünglichen Lehre des Jesus von Nazareth). Zehn Jahre später wurden diese Bannflüche von der gesamten Kirche, also auch von der römisch orientierten Westkirche, sinngemäß wiederholt, sogar auf 15 Bannflüche erweitert. Die Kirche verurteilte darin unter anderem die Wiederherstellung aller Dinge und die Präexistenz der Seele vor der Geburt des Menschen, und damit indirekt auch die Wiederverkörperungslehre.
Bemerkenswert ist dabei, dass die Lehre des Origenes in diesen Bannflüchen plötzlich wieder viel klarer dargestellt wird als in den Jahrhunderten zuvor. Worauf ist das zurückzuführen?

Bannfluch als Kriegswaffe

Sträuli weist hier auf ein auffallendes zeitliches Zusammentreffen hin: Das Jahr 543 fällt mitten in den zwanzigjährigen Vernichtungskrieg der Byzantiner gegen die Ostgoten in Italien – die arianischen, also origenistischen Glaubens waren! Stammte die überraschend genaue Kenntnis der Lehre des Origenes von den arianischen Ostgoten? Und waren die schauerlichen Bannflüche des Justinian Teil einer "okkulten" psychologischen Kriegführung?

Damit war ein Schlusspunkt gesetzt. Die ursprüngliche christliche Lehre hatte damit endgültig keinen Platz mehr in der Institution Kirche. Dem moralischen Verfall und der theologischen Verwirrung folgte die dogmatische Festlegung. Bereits viel früher, 385, war der erste Inquisitionsmord in der Kirche geschehen: Der Bischof von Ávila in Spanien, Priscillianus, war nach Trier verschleppt und dort mit einigen seiner Anhänger hingerichtet worden – wegen "Ketzerei". Es deutet vieles darauf hin, dass auch die "Priscillianer" in Wirklichkeit Urchristen waren, die sich an der Lehre des Origenes orientierten. In den griechischen Siedlungen an der spanischen Küste war dessen Gedankengut noch lange lebendig geblieben und von dort weiter vorgedrungen. Möglicherweise gibt es auch historische Verbindungen von geflüchteten Priscillianern zu den späteren Katharern in Südfrankreich.

Bannfluch ist Schwarze Magie

"Wer behauptet oder glaubt, die Seelen der Menschen hätten schon vor ihrer Geburt bestanden; sie seien einstmals Vernunftwesen gewesen und hätten heiligen Mächten angehört; sie seien dann der göttlichen Schau überdrüssig geworden und hätten sich dem Bösen zugewandt; dadurch sei ihre Liebe zu Gott erkaltet, weshalb sie die Bezeichnung ‘Abgefallene’ erhielten; zur Strafe seien sie in Körper einverleibt worden – den treffe der Bannfluch!" So lautet der erste der neun Bannflüche des Justinian gegen die Origenisten aus dem Jahre 543. Wer diese neuen Flüche (oder die 15 des Jahres 553) hintereinander liest, kann vielleicht die Wirkung auf die Menschen damals erahnen. Wie Hammerschläge fallen die Worte: "den treffe der Bannfluch" immer wieder auf einfache Glaubensaussagen hernieder.
In Afrika und anderen Teilen der Welt kennt man noch heute die Praxis der schwarzen Magie: Wer einen Feind schädigen will, der geht zu einem Schamanen, der dann eine Puppe bastelt, die den betreffenden Menschen darstellt und diese z. B. mit einer Nadel ersticht und dazu verhexende Zaubersprüche murmelt. Erfährt der Betreffende von dieser "Verhexung", so kann er in tiefe Ängste stürzen und unter Umständen tatsächlich sterben. Ähnliches gilt für die soziale Ausgrenzung in Stammesverbänden, die manches Mitglied nicht verkraftet. Auch Gedanken sind Energie, die beim Empfänger ankommen, wenn dieser nicht wirklich "über den Dingen steht".
Für die Kirche waren solche schwarzmagischen Mechanismen der Abschreckung und sozialen Ausgrenzung schon immer ein beliebtes Instrument zur Festigung ihrer Macht. Die zahlreichen Bannflüche gegen verschiedenste Lehrmeinungen, so z. B. auch gegen Luther, sind bis heute nicht aufgehoben. So stellt sich die Kirche auch als schwarzmagischer Götzenkult dar.

 


 

Teil 4
Der "Heilige Krieg" gegen das arianische Christentum

Immer wieder wird sie gefeiert: Die "Christianisierung" Germaniens durch irische Wandermönche oder den Angelsachsen Bonifatius, die, Heiden bekehrend, durch die Lande zogen. Immer wieder dringen aber auch merkwürdige Lichtstrahlen durch das neblige Dunkel der germanischen Vorgeschichte im "christlichen Abendland". So etwa, als man sich in Würzburg anlässlich des Kiliani-Festes 1989 die Frage stellte: "Bekehrten die Frankenapostel womöglich gar keine Heiden?" (Main-Post)

Ein Grabstein aus Unterfranken, 7. Jahrhundert: ein auferstandener Christus zeugt von einem vorkatholischen Christentum

Die "Frankenapostel" sind die Iren Kilian, Kolonat und Totnan, die 689 aufgrund einer kirchenrechtlichen Ehestreitigkeit in Würzburg von den Gehilfen einer germanischen Herzogin erschlagen wurden. Abgebildet wurde zur oben genannten Schlagzeile die Rückseite eines fränkischen Grabsteins aus der Zeit vor der angeblichen Bekehrungstätigkeit der frommen Iren. Der Grabstein zeigt einen über den Tod triumphierenden Christus.
Inzwischen geben auch katholische Autoren zu, dass das Christentum schon vor der Eingliederung Germaniens in die römisch-katholische Kirche im 8. Jahrhundert durch den Angelsachsen Winfried (genannt Bonifatius, 672-754) dort verbreitet war.
Ein Großteil der germanischen Stämme hat sich zwischen dem vierten und sechsten Jahrhundert, also mitten in der Völkerwanderungszeit, zum Christentum bekehrt – aber eben nicht zum römischen, sondern zum arianischen. Welchen Unterschied machte das aus?

Arius

Arius (ca. 260-336, vgl. Teil 3) war ein einfacher Priester aus Alexandria in Ägypten, der wegen seiner Ansichten von seinem eigenen Ortsbischof Alexander verflucht und aus der Heimat vertrieben wurde. Arius vertrat im wesentlichen die Position des großen frühchristlichen Theologen Origenes (184-254), der ebenfalls aus Alexandria stammte und von dort flüchten musste. Origenes und Arius wehrten sich dagegen, dass der Einfachheit halber Gott und Christus in ihrem Wesen gleichgesetzt wurden. Diese Gleichsetzung kam den in Massen zum Christentum strömenden Heiden entgegen, weil sie dann nur einen "Gott" anzubeten brauchten, der sie auch gleich noch angeblich von allen Sünden erlöst hatte.

Europa zur Zeit Theoderichs (um 500 n. Chr.)

Für Origenes war Christus der erstgeborene Sohn Gottes, ein mächtig wirkendes himmlisches Geistwesen, das den Menschen Beistand leistete – doch nicht einfach Gott selbst. Origenes lehrte die Wiederverkörperung des Menschen und die Wiederherstellung aller Dinge – das heißt, alle Seelen und Menschen werden einst wieder bei Gott sein. Es gibt demnach keine ewige Verdammnis. Der Mensch – im Innersten ein reines Wesen der Himmel, das zur Erde fiel – kann und soll sich durch Befolgung der göttlichen Gebote von den Sünden reinigen, um wieder zum Ebenbild Gottes zu werden.

Die Lehre des Arius – in Wirklichkeit die des Origenes, der aber damals noch zu angesehen war – wurde 325 auf dem Konzil von Nizäa auf Geheiß Kaiser Konstantins ein erstes Mal verurteilt. Nach dem Tod des Bischofs Alexander erwuchs dem Arius ein neuer Gegner in Athanasius, der auch vor Verdrehungen der Aussagen seines Gegners und vor Verleumdung seiner Person nicht zurückschreckte. Arius wurde 336 in Konstantinopel vergiftet, nachdem er zuvor rehabilitiert worden war. Der theologische Streit zwischen Katholiken und Arianern tobte noch viele Jahrzehnte lang in beiden Hälften des römischen Reiches – wobei die Katholiken schließlich die Oberhand behielten. Die Arianer – übrigens auch keineswegs immer lammfromm – wurden verketzert, vertrieben, enteignet, umgebracht.

Die "Ketzerei" hielt sich jedoch außerhalb des Römerreiches – bei den Germanen. Wie war sie dort hingekommen?

Der Gote Wulfilas

Nicht durch Arius. Im Grunde genommen übernahmen die Germanen auch nicht die Lehre des Arius, sondern die seines Vorkämpfers Origenes. Der Überbringer war ein Gote mit griechischem Einschlag: Wulfilas (313-383). Mitte des dritten Jahrhunderts wurden seine Vorfahren mütterlicherseits von Goten aus Kappadokien in Kleinasien entführt und auf den Balkan gebracht. Kappadokien war eine Hochburg der Origenisten; dort war z. B. bis 268 der Origenes-Schüler Firmian Bischof.

          

Die Grabkirche des arianisch gläubigen Theoderich in Ravenna (links) und die Kapelle auf dem Marienberg in Würzburg (rechts), wohin seine Nichte Amalberga geheiratet hat, haben denselben Grundriss. Würzburg entwickelte sich in der Folgezeit zu einem Zentrum der arianischen Mission unter den Germanen.

Der Gote Wulfilas traf während eines Aufenthaltes in Konstantinopel (337) mit Bischof Eusebios von Nikomedien (heute Izmit) zusammen, der sich auf dem Konzil von Nizäa nach anfänglichem Zögern gegen das neue Dogma Konstantins ausgesprochen hatte. Eusebios war Origenes-Anhänger. Wulfilas begründete zunächst die Schriftsprache der Goten und übersetzte dann die gesamte Bibel ins Gotische. Wulfilas, der "Gotenbischof", wurde 383 in Konstantinopel – wie vor ihm Arius – höchstwahrscheinlich vergiftet, als er sich gerade einem Glaubensgespräch mit katholischen Theologen stellen wollte. Doch die Impulse, die er seinen Zeitgenossen gegeben hatte, waren nicht mehr aufzuhalten: Von den Goten aus übernahmen die meisten anderen Germanenstämme – Vandalen, Sueben, Alemannen, Thüringer, Bajuwaren, Langobarden, ansatzweise wohl auch Teile der Franken und Sachsen – das origenistisch geprägte christliche Glaubensverständnis des Wulfilas.

Der Glaube der Goten

Dieser Glaube ist zwar nicht in allen Punkten mit demjenigen der ersten Christen gleichzusetzen. So waren die Germanen durchaus keine Pazifisten, wie Jesus von Nazareth einer war. Sie kannten auch Priester, obgleich der Nazarener keine Priester eingesetzt hatte. Doch es gibt eine Reihe gravierender Unterschiede zur römischen Kultreligion: Die Priester mussten einem Beruf nachgehen, also von ihrer Hände Arbeit leben; es gab keinen Kirchenzehnt. Es gab zwar Klöster, doch nicht mit lebenslanger Verpflichtung, sondern mit Mönchen und Nonnen "auf Zeit". Bischöfe und Ortspriester waren grundsätzlich verheiratet – weil dies Paulus so erwähnt. Es gab keinen Papst. Es wurden keine Heiligen und Reliquien verehrt, es gab keinen Mutter-Gottes-Kult, keine Ohrenbeichte, keine Kindertaufe, kein rituelles Abendmahl, sondern ein "Brudermahl" nach urchristlichem Vorbild. Die origenistischen Germanen waren bekannt für ihre Toleranz in Glaubensdingen: "Religion kann man nicht anbefehlen", lautete der Grundsatz des Italien regierenden Ostgotenkönigs Theoderich. Die Germanen machten also keine Versuche, die katholische Bevölkerung der von ihnen eroberten Gebiete zu ihrem Glauben zu bekehren. Sie griffen erst dann ein, wenn der katholische Klerus zu Gunsten ihrer militärischen Gegner intrigierte und spionierte – und das war sehr häufig der Fall. Auch die Vandalen, die sich in Nordafrika in einer sehr schwierigen Lage befanden und zeitweise die katholische Bevölkerung diskriminierten, waren insgesamt wesentlich besser als ihr (ihnen später angehängter) Ruf.

Erstaunlich, auch für Zeitgenossen, war die sittliche Haltung der arianischen Germanen, auch im Krieg. Es gab kaum Vergewaltigungen. Als der katholisch-byzantinische General Belisar 536 die von Ostgoten verteidigte Stadt Neapel eroberte, richteten seine Soldaten ein großes Blutbad an – wobei sie auch zahlreiche Katholiken umbrachten, "ohne Schonung des Alters", wie der Historiker Prokop anmerkt. Die gesamte Stadt wurde geplündert, Frauen und Kinder in die Sklaverei gebracht. Als der Ostgote Totila 543 dieselbe Stadt zurückeroberte, schonte er sie. Der Katholik Prokop schreibt: "Nie hätte man einem Feind oder Barbaren solche Menschlichkeit zugetraut. Die Neapolitaner waren vor Hunger nämlich ganz entkräftet. Totila wusste, dass ein Ausgehungerter sterben kann, wenn er plötzlich wieder viel Nahrung zu sich nimmt. In seiner Klugheit und Weitsicht gab er ihnen daher anfangs weniger zu essen, als sie begehrten, doch von Tag zu Tag ein bisschen mehr. Als sie auf diese Weise wieder zu Kräften gekommen waren, öffnete er die Tore, und jeder konnte gehen, wohin er wollte. Einigen stellte er sogar Pferde und Zugtiere zur Verfügung und stattete sie mit Reisegeld aus. Die Stadtmauer von Neapel aber ließ er niederreißen."

Würzburg – Zentrum des arianischen Christentums

Zu Beginn des sechsten Jahrhunderts beherrschten arianische Germanenstämme weite Teile Europas (siehe Karte oben). Der Ostgote Theoderich (471-526) hatte von Ravenna aus durch eine geschickte Heiratspolitik ein Bündnis für Frieden geschaffen. Seine Nichte Amalberga heiratete um 500 den Thüringer Herzog Hermanfried und zog in dessen Hauptstadt Würzburg. Diese Stadt wurde in der Folgezeit zu einem Zentrum arianischer Mission unter den Germanen. Der Grundriss der Rundkapelle auf der Würzburger Marienfestung entspricht demjenigen der Grabkirche Theoderichs in Ravenna.

Der Gegenschlag

Die Gegenkräfte hatten sich zu diesem Zeitpunkt jedoch längst formiert. Zum einen stachelte der katholische Klerus den byzantinischen Kaiser Justinian (482-565) dazu auf, die arianische "Irrlehre" in einer Art "heiligem Krieg" auszurotten. Seine Truppen vernichteten zuerst (534) das nordafrikanische Vandalenreich, kurz darauf, in einem verheerenden Krieg (535-555), das Reich der Ostgoten in Italien. Während dieses Krieges (vgl. Teil 3) ließ Justinian nicht zufällig die Lehre des Origenes verdammen (543/553). Von Vandalen und Ostgoten verliert sich seitdem jede Spur in der Geschichte; sie waren als Völker ausgelöscht.

Der andere tödliche Angriff kam von Germanen selbst: Die Franken waren der erste Stamm, dessen König Chlodwig um 495 katholisch wurde. Interessant ist dabei die Herkunft dieses Stammes (siehe Kasten). Bei seiner "Bekehrung" soll seine katholische Frau Chlotilde, eine Burgunderprinzessin, eine starke Rolle gespielt haben. Chlodwig hatte jedoch auch genügend politische Gründe für die Konversion: Chlodwig "...sicherte sich so ... bei seiner Eroberung Galliens den Beistand des galloromanischen Klerus. Dieser wieder schützte dadurch seine riesigen Reichtümer vor dem Zugriff der Arianer und unteren Volksschichten." (Deschner, Kriminalgeschichte, Bd. 4, S. 60)
Die katholischen Merowinger und später Karolinger unterwarfen nacheinander die noch verbliebenen Germanenstämme: Alemannen, Thüringer, Bajuwaren, Langobarden, Sachsen, zum Teil in blutigen Gemetzeln. Arianische Kirchen wurden enteignet, ihre Bischöfe und Anführer vertrieben oder umgebracht. Die ihrer südfranzösischen Besitzungen beraubten und auf Spanien zurückgedrängten Westgoten wurden durch Intrigen im Königshaus an der Führungsspitze ebenfalls katholisiert – und wenig später von den Mauren überrannt.

Der Nachhall

Die arianische "Ketzerei" war damit ausgelöscht. Es dürfte jedoch kein Zufall sein, dass ehemals gotische Gebiete – Oberitalien, Südfrankreich, Bulgarien und Bosnien – im Mittelalter zum Nährboden für die bogumilische und katharische Bewegung wurden. Aus Nordspanien stammte der Theologe und Mediziner Michael Servet (Serveto), der 1553 in Genf auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde. Servet brachte es in seinem kurzen Leben (ca. 40 Jahre) fertig, zweimal unter verschiedenen Namen von der Inquisition verurteilt zu werden: Als Theologe und als Mediziner. Vor der katholischen Inquisition gelang ihm die Flucht – doch in Genf ereilte ihn der tödliche Bannfluch des Reformators Calvin. Servets "Verbrechen": Er vertrat die Ansicht, dass die kirchliche Lehre von der Dreifaltigkeit unwahr sei. Er war "Antitrinitarier" und stand damit in bester Tradition des Origenes, der ebenfalls die Auffassung bekämpft hatte, dass Gott-Vater, Christus und der Heilige Geist sich in nichts unterscheiden würden.

Die einfache Gleichsetzung von Christus mit Gott, der überdies als grausamer, willkürlicher Götze dargestellt wurde, versperrt bis heute unzähligen Menschen den Zugang zu Christus, der mit Seiner erlösenden Kraft in jedem von uns wohnt. Doch Sein Geist bricht sich immer wieder Bahn.

 

Der Text  kann wie folgt zitiert werden:
Zeitschrift "Der Theologe", Hrsg. Dieter Potzel, Ausgabe Nr. 80, Matthias Holzbauer, Bekämpfte Wahrheiten: Das System-Kirche kommt an die Macht, Wertheim 2000, zit. nach theologe.de/bekaempfte_wahrheiten.htm, Fassung vom 24.7.2022,
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